Interviews mit Leuten, die nach Austin, TX ausgewandert sind.

Ein Ausszug

 

SABINE TROENDLE

FOTOGRAFIE

Andrew Scaturro

 

Als Andrew vor anderthalb Jahren in den Trailer eingezogen ist, fühlte er sich wie ein Looser. In einem Trailer zu leben heisst, dass das Leben nicht so verläuft, wie es sollte. Es sind meistens arme Leute, die in Trailern leben, es wird nichts Positives damit verbunden. Wenn er Geld hätte, würde er in einem Haus wohnen. Dennoch fühlt er sich wohl, er hat sein eigenes Heim und der Trailer steht in einem guten Quartier. Er ist in Florida geboren. Sein Stiefvater war bei der Armee, so zogen sie viel um. Er lebte in Nebraska, New Orleans, Japan, Kalifornien. San Francisco war gut. Liberal. Aber die Sonne in San Francisco ist nur ein kleiner weisser Punkt. Im Süden hingegen ist sie gross und hell.

 

Grosse, grosse Sonne - die unermessliche Weite.

 

In San Francisco arbeitete er am Empfang von GAP, ein sehr einfacher Job, der ihm erlaubte, seiner künstlerischen Tätigkeit nach zu gehen. Ein Mitarbeiter fragte ihn, ober er nicht etwas Angst habe davor, hier alles aufzugeben und nach Austin zu ziehen. Raus aus der "comfort zone". Es war tatsächlich etwas beängstigend, doch es zog ihn in den Süden zurück. Nicht dass es besonders schön wäre, Texas ist ein rauhes Land und Austin keine besonders hübsche Stadt. Doch da ist etwas. Die Leute sind freundlicher. Zwar nicht so gebildet wie die aus dem Norden und die Europäer, aber sie haben bessere Manieren. Henry Miller oder John Updike sagte, die Leute im Süden hätten mehr Charakter. Eine "quiet confidence of who you are".

 

In Amerika sagt man, dass die meisten Leute innerhalb von 20 Meilen leben und sterben, von wo sie aufgewachsen sind. Alle vier bis fünf Jahre zieht es Andrew wieder weg. Er wünscht, er hätte diese innere Unruhe nicht. Es ist anstrengend, immer wieder bei Null anzufangen und "transplanted trees roots never grow as deep", wie George Orwell einst sagte. Er beneidet die Leute, die ihr Leben lang an ein und demselben Ort bleiben. Ob und wann er von hier weggehen wird, weiss er nicht. Manchmal meldet sich das Bedürfnis. Doch hat er hier einen guten Job im Austin Motel, sein Musikerfreund Gary von früher, mit dem er nun wieder eine Band hat, ein bisschen Sicherheit. "There's somebody inside you that knows you beter than you do yourself." sagte Hermann Hesse. Wenn die Zeit reif ist zum weiterziehen, wird er es wissen und ein weiteres Kapitel seines Lebens schreiben.

 

Kenneth Grey

 

Kenneth hat sich eigentlich nie irgendwo so richtig zu Hause gefühlt. Eine innere Rastlosigkeit trieb ihn immer wieder weg von Kanada, auf dem Motorrad durch die Vereinigten Staaten, meist mit dem Süden oder Westen als Ziel. Die Atmosphäre der Verlassenheit des amerikanischen Westens, die Wärme. Der einzige Ort von dem es ihm leid tat wieder abzureisen war Austin.

Vor gut einem Jahr hat Kenneth Kanada verlassen. Der Häusermarkt stand günstig für Verkauf und er hat sich von seiner Freundin getrennt. Alles schien darauf hinzuweisen, zu gehen.

 

Austin macht ein bisschen mehr Sinn als sonst irgendwo. Die Gesinnung der Leute hier unten, alles ist etwas langsamer und freundlicher. “The life that I care about is down here.” Country Musik, Tanz, das Essen, Wüste, Wärme. Schwimmen in Naturquellwasser. Das gibt es nirgendwo sonst. Austin ist einzigartig. Eine ländliche Bastion, ein kreativer Ort. Das kann man niemandem erklären, der nicht hier lebt. Es ist warm im November, draussen sitzen, einen Taco essen, Leute auf South Congress zusehen. Einfach draussen sein. In Kanada war er während der Hälfte des Jahres deprimiert. Immer kalt, nass, dunkel. Das kann er nicht mehr - wird er nicht mehr tun.

 

Auf Kenneths Unterarm ist ein Tatoo “Austin”. Er hat einen 1965 Chevy Pickup und ein Motorrad und er hofft, hier eine Frau zu treffen. Eine Amerikanerin. Dann heiraten, ein Haus bauen und zur Ruhe kommen. Ein neues, beständigeres Leben mit jemandem zusammen.

 

Ausstellung Station21

Possible Places of Comfort

possible places of comfort, vol. 3 / nr. 2

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