Broadcast

Texas Reliable News

SABINE TROENDLE

FOTOGRAFIE

Texas Reliable News sind vertrauenswürdige Berichte über das Leben und die Lage in Texas/USA. Sie sind vertrauenswürdig, weil sie niemandem verpflichtet sind und keine dritten Interessen verfolgen. Sie schlagen eine persönliche Sichtweise auf das Leben und eine Interpretation der Lage in Texas vor und behaupten nicht die Wahrheit. Dies in Zeiten, in denen Nachrichtensender wie Fox News öffentliche Omnipräsenz geniessen und Staatsoberhäupter täglich wiederkehrend ihr Bedauern ausdrücken, sich die Empörung und Bestürzung über und die Verurteilung von Anschlägen und Korruption überschlagen. Zeiten, die zugleich die totale Gleichgültigkeit gegenüber diesen Zuständen heraufbeschwören. Während verarbeitungs- und qualitätsprüfungsüberforderte Medienschaffende in real time den scheinbaren Zustand der Welt ins Bild setzen und wir die totale Informationsanarchie zu erleben glauben, erscheint die persönliche Sicht auf das Geschehen und dessen zwar willkürliche, aber reflektierte Interpretation durchaus verlässlich.

 

Während einem halben Jahr verschickt Sabine Troendle einen wöchentlichen Broadcast aus Texas: Fotografien und Text via Email sowie einen Link auf ihre Website, wo der neuste Beitrag jeweils Montagmorgen 8 Uhr Schweizer Zeit aufgeschaltet ist. Sie erzählt Geschichten aus Texas. Es sind die Beobachtungen einer Fremden, die sich der Wirkung des selbstverständlich gelebten texanischen Alltags auf ihre schweizerisch geprägte Wahrnehmung und Wertung durchaus bewusst ist.

 

Ohne die diversen Inhalte — seien sie wirtschaftlicher, politischer oder gesellschaftlicher Natur — explizit zu thematisieren, funktioniert jeder Beitrag als Kommentar, der die Haltung der Fotografin ausdrückt. Dies geschieht mal lakonisch-salopp, mal vertiefend erzählend. In einigen Beiträgen ist das Thema klar umrissen, andere wiederum funktionieren ohne klaren Schwerpunkt. Die «Texas Reliable News» beinhalten kleine Entdeckungen und grosse Fragestellungen, zuweilen flackert in ihnen eine grundsätzliche Empörung oder ein europäisches Überlegenheitsgefühl auf. Sie reflektieren Klischees und suchen nach dem typisch Amerikanischen. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Broadcasts in ihrem Abstraktionsgrad, in ihrem Tiefgang und Umgang mit Schwere und Relevanz.

 

Sabine Troendle ist Fotografin, Künstlerin und Autorin der «Texas Reliable News». Sie kommentiert Geschehnisse aus ihrer Sicht, nimmt jedoch die Identität der Redaktion der «Texas Reliable News» an. So schafft sie ein Format, das ihr einerseits erlaubt, als Berichterstatterin unterwegs zu sein, andererseits die Wichtigkeit und den Wunsch nach alternativen, entschleunigten Informationsformen in der heutigen Medienlandschaft betont.

 

Zwischen 2006 und 2012 lebt Sabine Troendle zeitweise in Austin, Texas. Immer wieder für ein paar Wochen und Monate, dann für ein ganzes Jahr. Für die diversen fotografischen Projekte, die sie in Texas bearbeitet, erstellt sie in dieser Zeit ein Bild- und Textarchiv. Das angesammelte Recherche-Material ist vielschichtig und soll genutzt werden. Für die Bandbreite der enthaltenen Themen muss ein entsprechender Umgang gefunden werden — ein wöchentlicher Broadcast via Email und Webseite scheint passend. Dieses Format hat einen anregenden Rhythmus und unterstützt die wünschenswerte Nonchalance im Umgang mit dem jeweiligen Beitrag. Zugleich schüren die Regelmässigkeit und die Konstanz des Inhalts — ganz im Sinne der Serienkultur — die Neugierde auf weiterführende Beiträge.

 

In diesem Sinne werden die «Texas Reliable News» 2011 während eines halben Jahres elektronisch an einen spezifischen Empfängerzirkel versandt.

 

TRN 01

Texas Reliable News

Dies ist die erste Ausstrahlung der wöchentlichen Texas Reliable News aus Austin, Texas. Wir widmen diese Ausgabe einigen Gebäuden aus dem Universum des unerkannt Schönen, der Opfer des Ausverkaufs und des lange Vergessenen – eine Homage an vergangene Zeiten.

»So bald wie möglich wird das Treehouse abgerissen ...«   The Treehouse, Austin 2010

»Andererseits, vielleicht hat man aufgrund der wirtschaftlichen Lage diesen Plan sistiert.«   The Treehouse, Austin 2011

»Gene ist weg. Das Haus hat jetzt eine neue Führung. Sie lassen den alten Gene’s PoBoys wieder aufleben und wandeln ihn in einen Bio-Lebensmittelladen um.«

Gene’s New Orleans Style Food, Austin 2010

»Zu verkaufen«   Grace Mission United Church of Christ, Luling 2010

»Die verschlafene Stadt McMahan steht zum Verkauf und für 215 000 Dollar gibts den ganzen Karsumpel.«   McMahan 2006

Verlassenes Gebäude zwischen Luling und Lockhart 2010

Cain’s Construction Co., Luling 2010

Autohändler in Austin 2009 ...

... und 2010

Gebäude zwischen Luling und Houston 2009

 

Die Zitate stammen von verschiedenen Quellen, Internet, Verkaufsbroschüren, Anzeigen und Allgemeingut.

 

TRN 02

Amerika vergnügt sich

23:00 Uhr

17:30 Uhr

15:15 Uhr

10:30 Uhr

22:20 Uhr

18:55 Uhr

01:50 Uhr

 

TRN 03

Der Pöstler kommt immer vorbei

Der Glacéverkäufer

Der Postbote kommt vorbei und fragt nach Elizabeth Street

Nummer 914. »Dies ist 916«, sage ich und wir schauen zum

verwilderten und leeren Grundstück nebenan.

»Was ist mit 914 passiert?«

»Ich weiss es nicht.«

»Willst du sie?« und er streckt mir die Post für

Elizabeth Street Nummer 914 hin.

»Nein, danke.«

»Was soll ich damit tun?«

»Ich weiss es nicht.«

»Wieso willst du sie nicht?«

»Ich weiss nicht, was ich damit machen soll.«

»Ich auch nicht.«

Schweigend schauen wir beide auf das Grundstück nebenan.

Nach einer Weile blickt der Postmann nochmals auf seine

unzustellbare Post, schüttelt den Kopf und fragt: »Warum

bekomme ich Post für ein Haus das nicht existiert?« und geht.

Misserfolg, Scheitern, Versagen, Fehler, Betriebsausfall, Störung, was die englische Sprache alles mit »Failure« umschreibt, wird hier genauso respektiert wie das Gelingen. Man klopft auf die Schulter und fragt nach neuen Plänen. Denn im Scheitern schlummert schon ein neuer Traum.

»Erstens bin ich Ehefrau, zweitens Mutter und drittens Bäuerin.

Nein. Erstens bin ich Ehefrau, zweitens Arztgattin und dann der Rest.«

»Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns betrachten die Sterne.«

Gespräch auf der Post zwischen einer Frau mittleren Alters und einem wirklich alten Mann, mit viel Liebe für Oscar Wilde.

Wir werden sie nie einholen und wir werden nie ihre Naivität besitzen. Uns fehlt die Seele und die Waghalsigkeit des Nullpunktes einer Kultur, die Kraft der Unkultur. Wie um alles in der Welt kann man nur Europäer sein?

Jean Baudrillard in »Amerika«

Diese Hollywood-Ideologie vom Guten, das belohnt wird, und vom Bösen, das seine Strafe findet, es haut nicht hin, aber es gibt den Leuten das Gefühl, versagt zu haben.

A.L. Kennedy

Was ist nun der Unterschied zwischen einem normalen Hausabwart und einem Künstler, der sein Geld als Hausabwart verdient?

TRN 04

Rockne

Rockne, ein Dorf das in den 1840er Jahre »Walnut Creek« hiess, änderte in den frühen 1900er Jahren den Namen in »Lehmanville«, auf Grund der neuen Post im Laden von Hr. Lehman und der Ernennung des Postmeisters Martin Lehman. In den 1920er Jahre öffnete W. M. Hilbig & Son’s General Store seine Tore und aus »Lehmanville« wurde »Hilbigville«. 1931 durften die Kinder von Hilbigville in einer Abstimmung ihrem Wohnort einen neuen

Namen geben. Es stand zur Wahl Rockne, nach dem kurz zuvor bei einem Flugzeugabsturz umgekommenen Football Coach Knute Rockne oder Kilmer, nach dem katholischen Poeten Joyce Kilmer, der auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs gefallen war. Es heisst, alle Buben hätten für den Coach und alle Mädchen für den Poeten gestimmt und die Wahl sei unentschieden ausgefallen. Einen Tag später änderte ein Mädchen seine Meinung, sonst wäre die Stadt wohl ohne Namen geblieben.

Katholische Kirche Herz Jesu

Gemeindehaus Herz Jesu

Schulhaus Herz Jesu

Friedhof Herz Jesu

Leon’s Country Store – erbaut 1929. Herman Goertz übernahm den Laden von seinem Vater Leon, der ihn 1969 gekauft hatte. Er ist von 10 Uhr morgens bis irgendwann offen.

Leon’s Country Store

Leon’s Country Store

TRN 05

Ein Gespräch

Gespräch über Amerika.

In unserer Runde:

Jean Baudrillard, französischer Philosoph

Ralph Ellison, amerikanischer Schriftsteller

Rudolph Giuliani, ehemaliger Bürgermeister New Yorks

Franz Kafka, östreichisch-ungarischer Schriftsteller

Rick Perry, Gouverneur von Texas

Oscar Wilde, irischer Dichter

Kafka: Die Mutter war damals schon zwei Tage ohne Arbeit gewesen, nicht das kleinste Geldstück war mehr vorhanden, der Tag war ohne einen Bissen im Freien verbracht worden.

Perry: Die dunklen Wolken am Wirtschaftshorizont lösen sich auf und weichen dem blauen Himmel voller neuer Möglichkeiten.

Wilde: Wer im Rahmen seiner Möglichkeiten lebt, leidet an einem Mangel an Phantasie.

Ellison: Und denk daran, die Welt ist voller Möglichkeiten, du musst sie nur entdecken.

Perry: Wir hatten 10 Milliarden Dollar Defizit als wir im Januar 2003 anfingen. Wir senkten das Budget, wir haben die Steuern nicht erhöht, 2005 kamen wir zurück und wir hatten 8 Milliarden Dollar Überschuss. So schnell kann es gehen.

Baudrillard: Die Amerikaner sind der Überzeugung die reine Utopie zu verkörpern, die Verwirklichung all dessen zu sein, wovon andere immer geträumt haben: von Gerechtigkeit, Überfluss, Recht, Reichtum und Freiheit. Sie wissen es, sie glauben es, und zuletzt glauben es alle anderen auch.

Perry: Die Luft, die wir einatmen, das Wasser, das wir trinken und das Land, das wir bewohnen, sind nicht nur wichtige Elemente für unseren Lebensstandard, den wir geniessen – sie sind das Spiegelbild der Grösse unseres Schöpfers.

Giuliani: Führerfiguren müssen optimistisch sein. Ihre Visionen gehen über die Gegenwart hinaus.

Perry: Wir müssen Amerika in seine einstige Vormachtstellung zurück bringen, denn unsere Werte und konservativen Ideen sind die grösste Hoffnung für die Welt.

Perry: Wir müssen aufhören, uns dafür zu entschuldigen, dass wir das Leben feiern.

 

Wilde: Der Gute wird glücklich, der Böse nicht. Das liegt in der Natur der Erzählung.

 

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Zitate aus ihrem Kontext komplett heraus gerissen wurden und garantiert nichts mehr mit ihrer ursprünglichen Bedeutung zu tun haben.

 

TRN 06

Geschäft

Der Begriff Geschäft bezeichnet das Kaufen oder Verkaufen von Waren oder Leistungen, mit dem Ziel, einen Gewinn zu erzielen. In der Umgangssprache spricht man von einem Handel oder einem Deal.  thefreedictionary.com

2010: Betrieb eingestellt

2009: Im Geschäft

2011: Im Geschäft

2009: Im Geschäft

2009: Im Geschäft

2010: Im Geschäft

2009: Betrieb eingestellt

2011: Betrieb eingestellt

2009: Betrieb eingestellt

2010: Betrieb eingestellt

2009: Im Geschäft

2011: Betrieb eingestellt

2010: Betrieb eingestellt